Friedrichstraße – ein Versuch

Credits: imago images / A. Friedrich
Vom Modell – zum Modellversuch – zum Dauerzustand!
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It’s the End Of The World As We Know it (REM, 1987)

Nicht gleich die ganze Welt, aber die Berliner Mitte wird sich verändern. Und zwar so, dass wir sie in ein paar Jahren nicht wiedererkennen werden. Abgase, Lärm, sommerlicher Hitzestress bei zu wenig Grün, anstrengendes Gedränge eingepfercht auf schmalen Gehwegen – kurz: Rahmenbedingungen, die uns allen in der Friedrichstraße schwer zusetzen und den Aufenthalt unangenehm machen – werden der Vergangenheit angehören.

Der Verkehrsversuch ist ein erster Schritt, dies umzusetzen. Oder erstmal auszuprobieren, wie das funktioniert. Nicht ein paar Stunden, nicht ein paar Tage oder Wochen, sondern volle 6 Monate lang.

Unsere Hoffnung und Überzeugung: Danach will keiner die alte Friedrichstraße zurück. Aber viele wollen in die neue Friedrichstraße, weil sie endlich funktioniert: Angenehmer Aufenthalt, Schaufensterbummel ohne Gedränge, kein Stau für Notarztwagen und Feuerwehr, sicher zum Radfahren und zu Fuß gehen.

Aktueller Stand ist, dass der Verkehrsversuch aus Pandemiegründen verschoben wird. Aber er findet statt.
Dazu ein Artikel in der Berliner Zeitung (öffnet in neuem Fenster)

Klingt gut. Ist auch gut. Aber wir hören Sie und euch schon mit den Füßen scharren, um ein paar Fragen loszuwerden:

Was ist unsere Rolle?

Als Zivilgesellschaftliche Organisation und als Projekt von Changing Cities e.V. in Mitte versteht sich „Changing Cities Central“ (CC-Central / Netzwerk Fahrradfreundliche Mitte) als Impuls- und Ideengeberin. Dabei erarbeiten wir umsetzungsfähige Konzepte, zeigen realisierbare Lösungen auf und machen Druck, damit die Dinge auf die Straße kommen. Das haben wir auch in der Friedrichstraße getan.

Warum nur ein Verkehrsversuch – Warum nicht gleich richtig umgesetzt?

Das Konstrukt des Verkehrsversuchs nach §45 StVO bietet die Möglichkeit, neue Konzepte zu erproben. Damit können nicht nur neue Formen der Verkehrsführung – wie in diesem Fall die „safety lane“ – erprobt werden. Gleichzeitig wird auf diese Weise die Möglichkeit geschaffen, im Detail nachzujustieren und Erkenntnisse aus der Praxis direkt umzusetzen.

Warum so lange?

Zeit ist sicherlich relativ… (Haben wir zumindest gehört und leider auch bei einigen Planungen in der Vergangenheit erfahren.) Klar ist jedoch, dass nur ein substantieller Untersuchungszeitraum, der z.B. Ferien- und Nicht-Ferienzeit umfasst, tragfähige Erkenntnisse liefern kann. Aus unserer Sicht sind die nun geplanten sechs Monate – wenn überhaupt, dann – eher zu kurz gegriffen.

Warum erst jetzt?

Aus Sicht der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz ist der Umsetzungszeitpunkt genau richtig, da dieser Verkehrsversuch die Grundlage für eines der geplanten 10 Projekte im Kontext des Teils IV des Berliner Mobilitätsgesetzes ist. Dieser „Fußgänger-Teil“ befindet sich aktuell kurz vor der Veröffentlichung.
Aus Sicht von CC-Central ist die Realisierung ab Juni 2020 ok, da die Flaniermeile Teil unseres verkehrlichen Gesamtkonzepts darstellt und dies nun der erste Schritt ist.

Wo bleibt der ganze Verkehr?

Lustige Frage!
Wir wollen ja mehr Verkehr in der Stadt! Verkehr ist nicht schlecht, sogar gut und bedeutet Leben und Interaktion! Lediglich die Ausprägung „Motorisierter Individualverkehr (MIV)“ ist schädlich und nicht stadtverträglich. Dieser Verkehr wird auch in Berlin – wie bei anderen Verkehrsversuchen regelmäßig beobachtet – zu einem wahrnehmbaren Teil „einfach verschwinden“, da die verkehrliche Infrastruktur neu ausgerichtet wird. Die Verteilung des verbleibenden MIV im Stadtraum ist Untersuchungsgegenstand des Verkehrsversuchs und wird sich im Laufe der sechs Monate stabilisieren.
Der neue Raum für zu Fuß Gehende und Radfahrende wird dazu führen, dass diese Verkehrsarten zunehmen werden, da eine sichere und angenehme Infrastruktur geschaffen wird. Auch hier wird das „Prinzip von Angebot und Nachfrage“ wirksam.

Und der Lieferverkehr? Wie kommt der zu den Geschäften?

Die Strukturierung des täglichen Lieferverkehrs ist ein primäres Ziel der Neugestaltung der Friedrichstraße! In Zeiten des zunehmenden Online-Handels ist es unseres Erachtens nicht länger hinnehmbar, dass klare, eindeutige Regelungen fehlen und „Wild-West“ herrscht! Im Konzept sind – nach Diskussionen mit den beiden Verbänden BdKEP und BIEK – explizite Logistik-Zonen integriert, deren ausschließliche Nutzung durch den Wirtschaftsverkehr überwacht werden wird. Die vorhandenen Anlieferungsmöglichkeiten durch die Nebenstraßen und Zufahrten zu den Tiefgaragen bleiben zudem komplett erhalten. In der Friedrichstraße selbst liegt keine dieser Zufahrten.

Wie kommen die Leute zurecht, die auf ein Auto angewiesen sind?

Die Maxime des von CC-Central erarbeiteten Rahmenkonzepts für die Mitte Berlins lautet: „Erreichbarkeit sichern – Attraktivität erhöhen!“ Jeder Ort in Mitte kann weiterhin mit einem Kfz erreicht werden, lediglich die beliebige Durchfahrt wird im Zielbild nicht mehr möglich sein.

Und was sagen die Geschäftsleute in der Friedrichstraße dazu?

Die Meinung der Geschäftsleute ist uneinheitlich. Da es im Untersuchungsraum keine qualifizierte Interessenvertretung gibt, haben wir im letzten Jahr selbst die Initiative ergriffen, eine kleine Befragung durch- und viele Gespräche vor Ort geführt und sind dabei sogar auf einen „Desinvestitionsplan“ („Es soll Alles so bleiben, damit wir den Block 206 günstiger erwerben können!“) gestoßen.
Unser Fazit ist: Die wesentlichen Player und alle Anrainer, die auf eine gute Zukunft der Friedrichstraße setzen, begrüßen unseren Plan!

Sind solche Insellösungen denn überhaupt sinnvoll?

Es macht Sinn, den geplanten Verkehrsversuch klar zu definieren. In unserem offenen Rahmenkonzept ist die „Friedrichstraße 2.0“ jedoch nur ein Baustein, der neben – z.B. der Neuordnung des Reisebus-Verkehrs – definitiv keine Insellösung ist, sondern vielmehr eine Komponente eines umfassenden Ansatzes.

Geht das nicht einfacher mit Elektrofahrzeugen?

Auch Elektrofahrzeuge gehen nicht… (Was ist das überhaupt für eine Frage??) Kurz gesagt: Ein Antriebswechsel ist keine Verkehrswende und macht den MIV nicht leistungsfähiger. Auto bleibt Auto und es wird kein Millimeter Raum für zu Fuß Gehende und Radfahrende oder z.B. zum Flanieren geschaffen!
Also: Nein.

Modellversuch – Wird das auch (wissenschaftlich) ausgewertet?

Ja.
Und auch das werden wir kritisch-konstruktiv begleiten.

Ich habe noch Fragen, Bedenken oder Anregungen – an wen wende ich mich?

Wenn Du dies liest, besteht Hoffnung, dass Du direkt weitere Informationen erhalten kannst (s.u.). Das konkrete Untersuchungsdesign und die geplante wissenschaftliche Begleitung des Verkehrsversuchs erfolgt durch die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz (SenUVK).

Kompakte Information gefällig?

Dazu haben wir im letzten Jahr eine Präsentation erstellt, die im Grundsatz noch immer zutreffend ist. Die Präsentation steht über den folgenden Link zum Download zur Verfügung.